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Krebs-Früherkennung (Präkanzerose-Diagnostik)

Der Bereich der diagostischen Verfahren zur Erkennung von Krebs und (vor allem) seinen Vorstadien ist in unserem Berufsstand seit langem ein Tummelplatz suspekter Grauzonenverfahren. Hier finden sich Verfahren aller Art, die für sich (mit mehr oder wenig geschickter Strategie) die Fähigkeit beanspruchen, Aussagen zur Erkennung von Krebs und vor allem seinen Vorstadien (Präkanzerose) treffen zu können. Dabei ist die Qualität und Professionalität dieser Aussagen in den meisten Fällen derart mangelhaft, dass es einen wundert, wie diese Firmen, Labors und Privatinstitute über viele Jahre konsequent und beharrlich überleben können. Die inhaltlichen Aussagen zur Qualität der angepriesenen "Analysen" entbehrt zu einem großen Teil jeglicher reproduzierbarer Basis. Hier werden aus allen nur denkbaren Probenmaterialien (Blut, Urin, Speichel, Haare und Nägel) "stichhaltige" Aussagen zu zellulären Veränderungen versprochen, die auf einer nicht näher definierten "biochemischen Entgleisung/Präkanzerose" beruhen. Nicht selten wird sogar die Organlokalisation des Geschehens festgestellt und gleich eine entsprechende "Heilrezeptur" mitgeliefert.

Auf Nachfragen zu den Grundlagen und den Erfahrungshintergründen der jeweiligen Diagnoseform wird entweder gar nicht geantwortet oder es werden eindeutig halbseidene Begündungen geliefert, wieso das jeweilige Verfahren eindeutig abgesichert sei. Häufig wird auf "jahrelange Erfahrungen" aus "Hunderten von Naturheilpraxen" verwiesen, auf Anfrage zu Referenzen wird jedoch in der Regel wohlweislich geschwiegen. Studien, Statistiken oder auch nur aussagekräftige Dokumentationen sowie Auswertungen von multizentrischen Beobachtungen fehlen. Zudem entpuppen sich einige der Anbieter als Teilzeitkollegen, die mit der Durchführung von Laborleistungen in fragwürdigem Qualitätsniveau das Monatseinkommen aufzubessern versuchen. Auf die Nachfrage zu den rechtlichen Rahmenbedingungen solcher Laboranbieter, die z. T. den Charakter von Hinterzimmer-"Labors" aufweisen, haben wir bewusst verzichtet. Dies soll anderen Einrichtungen überlassen bleiben.

Wir haben bei einigen solcher Anbieter nachgefragt und uns Hintergundinformationen zu Basis, Qualität und Reputation ihrer Leistungen einzuholen versucht. Die Ergebnisse waren in der Regel eher erschreckend denn klärend, wie Sie den nachfolgenden Dokumenten entnehmen können. Dabei haben wir uns in der Recherche ausschließlich auf Anbieter konzentriert, die auch ausdrücklich eine "Analytik" im Bereich der Krebs- oder Präkanzerosediagnostik anbieten.

 

Beispiel: Blutkristallisations-Analyse (BKA) nach St. Dreyer:

In der uns vorliegenden Darstellung der „Blut-Kristall-Analyse" des „Diagnostischen Labors Stephanie Dreyer" wird uns der Mund bereits in der Einleitung schmackhaft gemacht.

(Zitat): „Sie als Therapeut haben wahrscheinlich schon reichlich Erfahrungen mit klinischen und naturheilkundlichen Diagnoseverfahren gesammelt. Die Erfahrungen waren vielleicht nicht zufrieden stellend oder unzureichend. Wir versuchen, diese Erfahrungen zu relativieren. Deshalb bieten wir ein Diagnoseverfahren an, das den Stoffwechsel in seiner Gesamtheit darstellt. Die Blut-Kristall-Analyse (BKA) zeigt nicht nur den momentanen Krankheitswert, sondern auch die kausalen Zusammenhänge über Herkunft, Entstehung und mögliche Verlaufsformen. Es ist somit ein tatsächliches Früherkennungsverfahren." [1]

Wer möchte das nicht: Über einen getrockneten Blutstropfen des Patienten kann man hier die Art, die Lokalisation, die Ursache und den weiteren Verlauf der Erkrankung seines Patienten bestimmen lassen, und nicht nur das, man erhält auch gleich noch den richtigen Therapieweg mit geliefert.

(Zitat): „Die BKA geht noch einen Schritt weiter: Nach dem Funktionsbild und der pathologischen Verkettung geben wir Ihnen einen Therapieplan, der in erster Linie naturheilkundlich ausgerichtet ist." [2]

Das kennt man bislang eigentlich nur aus den suspekten Fernheilungen, bei denen man ein Foto schicken muss (nebst DM xxx), wo der Heiler seine Diagnose stellt und die Heilung über das „kosmische Internet" an den Patienten zurück gesandt wird.

Hier (bei der BKA) ist aber alles anders, man schickt immerhin Blut ein und die „Analyse" basiert auf wissenschaftlichen Grundlagen. Der Preis für diesen Aufwand: DM 260,- (Stand 1998).

Wir würden uns als kollegialer Arbeitskreis in diesem Bereich nicht so engagieren, wäre da nicht ein separates Kapitel mit dem eindeutigen Hinweis auf die spezifische Möglichkeit, mittels BKA ein Krebsgeschehen außerordentlich früh zu verifizieren.

(Zitat): „Mit der BKA haben Sie die Möglichkeit, ein Krebsgeschehen bis zu einem halben Jahr vor der klinischen Methode zu erkennen. Das steigert nicht nur die Heilungsaussichten, es erspart Ihnen und den Patienten aufwändige Tests und Kosten." [3]

Diese Aussage, in der eine hohe Sensitivität und Spezifität für ein Karzinomgeschehen in einem bestimmten frühen Zeitraum vor klinischer Diagnosesicherung versprochen wird, erscheint mutig. Zumal dann, wenn hier der Ersatz sonstiger Untersuchungsverfahren durch die BKA als möglich und zweckmäßig postuliert wird.

Nicht nur die Tatsache, dass die Werbebroschüre der Kollegin Dreyer keine Aussagen über die Grundlagen der Präkanzerosediagnostik macht, veranlasste uns im Juni 1998 um die Übersendung von differenzierten Unterlagen, insbesondere zur Krebsdiagnostik mittels BKA, zu bitten. Wir erhielten dann auch eine signalrote Broschüre eines „Heidesheimer Kreises zur Förderung von Wissenschaft und Forschung, gemeinnütziger Verein" mit Sitz in Heidesheim am Rhein (gleicher Wohnsitz wie das BKA-Labor der Frau Dreyer), mit dem Titel: „ACTA SPAGYRICA, Bd. 1, Vorstudie 1996 zur Festsetzung der Bewertungskriterien der Blut-Kristall-Analyse", gezeichnet von Frau Dipl. biol. Jasmin Schäfer, Institut für medizinische Dokumentation (keine Angabe von Instituts-Zugehörigkeit, keine Angabe einer Korrespondenz- oder Institutsanschrift).

Die Angaben in dieser „Vorstudie" waren subsumierend mangelhaft:

In der Einleitung dieser Schrift ist (wie schon in der Werbebroschüre der Frau Dreyer) unspezifisch die Rede von „Stoffwechselprozessen" und „Belastungssituationen", die von der BKA erfasst würden. Weder die „Stoffwechselprozesse" noch die „Belastungssituationen" sind definiert.

Die in der Einleitung als Erklärung für die Aussagekraft der BKA angeführte Textpassage. (Zitat): „Die Blut-Kristall-Analyse geht davon aus, dass das Blut als Medium für Transport und stoffliche Umsetzung der geeignete Informationsträger für die Stoffwechselsituation eines Organismus ist. (...) Das Blut-Kristall-Bild gibt auch Aufschlüsse über genetische Dispositionen und Belastungen durch früher durchlaufene Infektionen (zum Beispiel Spuren zurückgebliebener Erreger von Kinderkrankheiten). Desweiteren stellen sich Durchblutungsstörungen im Zusammenhang mit Sauerstoffmangel, toxischer Verschlackung sowie Verschiebungen im Säure-Basen-Haushalt als definiertes Kristallzeichen dar." [4]

Als wesentliches Moment für die Bewertung wird „die Zusammensetzung der Blutsalze" [5] definiert. Ein vergleichendes Diagramm zum Gehalt von K, Na, Cl, Mg und Ca wird zur Verdeutlichung aufgeführt. Dabei wird der z. T. drastische Unterschied der Mineralstoffkonzentrationen von Vollblut, Serum und Gewebszellen deutlich, dessen Beurteilung im BKA aber angeblich die Basis der Diagnose sein soll.

Kritisch anzumerken ist hier wie schon unter Punkt 1., dass jegliche Definition der angeblich durch die BKA verifizierbaren „Stoffwechselstörungen" oder „Belastungssituationen" fehlt. Handelt es sich um eine Änderung des Säure-Basen-Milieus (und wenn ja, wo: in der Zelle, in der Matrix, im peripheren Blut, in der Lymphe?)? Handelt es sich um Störungen der Durchblutung (und wenn ja, welcher Art: Störungen der Viskosität, der Strömungsverhältnisse, der Gefäßvolumina, einer Angioneogenese wie bei Tumoren üblich?)? Sind es Störungen aus dem Bereich der Endokrinologie oder Immunologie (und wenn ja, mit welchen gut untersuchbaren endokrinologischen/immunologischen Befunden korreliert diese Störung?)?

Wir versuchten, diesen Fragen nachzugehen und sandten Frau Dreyer (mangels anderer Kontaktanschriften) mit Daten vom 4.8., 10.9., 25.9., 25.10. und 18.11.1999 mehrere Anschreiben mit der Bitte um nähere Aufklärung der sich uns aufdrängenden Fragen. Dabei wollten wir v. a. nähere Informationen zu den Grundlagen der „Präkanzerose-Diagnostik" per BKA einholen.

Keines unserer Anschreiben wurde bis heute beantwortet.

Ein Zufall (?) half uns jedoch zunächst scheinbar weiter, denn in der Zeitschrift DER HEILPRAKTIKER&VOLKSHEILKUNDE (Offizielles Organ des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker und seiner Landesverbände) [6] wurde unter der Rubrik „Onkologie" ein Beitrag zur „Krebsfrüherkennung" publiziert; die Autorin: Kollegin Stephanie Dreyer. Der Beitrag ist, man muss das einmal deutlich sagen, von der Qualität her eine wahre Katastrophe. Da wird von der Kollegin so ziemlich alles durcheinander gebracht, was an heutigen Basiskenntnissen zur (klinisch sehr exakt definierten!) Präkanzerose gehört. Da wird eine so genannte physiologische und eine metabolische Veränderung gegenübergestellt (keine Definition der Begriffe!), da wird eine Dysplasie mit einer Leukoplakie verwechselt und beides mit dem Begriff Karzinom in einen Topf geworfen. Weiter werden Begriffs-Neuschöpfungen von „fakultativer" und „obligater Präkanzerose" in die Welt gesetzt.

Doch damit längst nicht genug. Da wird behauptet,

dass Frühstadien von Tumorbildungen (erwiesenermaßen!) mit Kalium-Anstieg und Natrium-Abfall in Vollblutanalysen einhergehen. Ein Beleg per Literaturangabe fehlt (im Übrigen zu allen Aussagen!), was nicht wundert, weil die Aussage jeglicher Grundlage entbehrt;

dass tumorspezifische Symptome mit dem Erreichen der Basalmembran durch die Tumorzellen beginnen (ein dramatischer Mangel in der Kenntnis der Tumorbiologie!);

dass ein Drittel aller Mammakarzinome sich aus einem Herpesbefall entwickeln (ein dramatischer Mangel in der Kenntnis der Virologie und Molekulargenetik!).

Ich habe mich angesichts dieses Beitrages der „Leiterin" des BKA-Labors, Kollegin Dreyer, dann letztlich dazu entschlossen, in der Angelegenheit der Blut-Kristall-Analyse nicht weiter nachzuforschen. Der demonstrierte Mangel an Sachkenntnis, sogar hinsichtlich der Grundlagen von Tumorbiologie und Tumor-Wirts-Interaktion, veranlassen mich aber sehr wohl, vor der Inanspruchnahme solch dubioser „kollegialer Laborleistungen" eindringlich zu warnen. Einer der letzten Aussagen in dem genannten Beitrag lässt dann auch erahnen, dass die Kollegin nicht sehr viel Erfahrung in der Arbeit mit Tumorpatienten haben kann:

(Zitat): „Keiner unserer Patienten braucht Schmerzmittel oder Morphine, sie leben bewusst und haben trotz ausgedehnter Metastasierung kaum Einschränkungen." Diese Aussage geht (wie viele andere Aussagen der Kollegin Dreyer) weit an der Realität der Arbeit mit Tumorpatienten vorbei, es sei denn, Frau Dreyer hat gar niemals Patienten mit ausgedehnten Metastasierungen erlebt.

Das zentrale Problem solcher dubiosen Praktiken scheint mir in einer Vermischung von Halbwahrheiten und Teilwissen auf medizinischem Gebiet mit mythologisch-verzerrten Ansätzen aus naturheilkundlichen Grundlagengebieten zu sein. Hier wird (unter dem Mantel einer vermeintlich wissenschaftlich gesicherten Basis) ein breites Repertoire an etablierten und neukonstruierten Termini so lange miteinander gemischt, dass es wie eine Art „neuer Erkenntnis" mit zukunftsweisender (und natürlich ganzheitlicher) Bedeutung erscheint. Das nähere Hinsehen und vor allem das nähere Nachfragen lohnt sich. Zumindest dem Patienten bleiben hierdurch nicht nur unsinnige Ausgaben erspart, er vermeidet u. U. einige Zeitverluste, die gerade im onkologischen Bereich fatale Konsequenzen haben können.

Manfred D. Kuno, Berlin

für den Arbeitskreis AKODH

Quellen/Zitate:

Dreyer St, Siepker, St. Diagnostisches Labor Stephanie Dreyer; Eigenverlag 1998; 8

Ebda. 13

Ebda. 16

Schäfer J. Vorstudie 1996 zur Festsetzung der Bewertungskriterien der Blut-Kristall-Analyse. Act Spagyr 1997; 1: 6

Ebda

Dreyer St. Krebsfrüherkennung durch Blut-Kristall-Analyse. Der Heilpraktiker&Volksheilkunde 1999; 3: 8-10